Allah
Oft fehlt mir das Selbstbewusstsein, meine Religion in Deutschland offen auszuleben. Auch fürchte ich mich oft, vor „Deutschen“ zu sprechen
TEXT Aya Elkhodary
FOTOGRAFIE A-Z Redaktion
Definition: Das Wort „Allah“ leitet sich ab vom Arabischen al-ilah (إله), was so viel bedeutet wie „das Göttliche“ oder „Gott“. Allah ist der muslimische Name für Gott, er wird aber auch von arabischen Christen verwendet. Um einer Erklärung für das, was Allah bedeutet, näher zu kommen, werde ich über meine persönliche Auseinandersetzung mit ihm berichten.
Mit meiner Einwanderung nach Deutschland und dem damit verbundenen Leben in einer aufgeklärten und offenen Gesellschaft, habe ich angefangen, mir Gedanken über meine Religion zu machen. Vor allem habe ich mich mit dem Wesen meines Gottes, Allah, beschäftigt. Phänotypisch kann ich mir Allah nur schwer vorstellen, am ehesten aber, dass er aus Licht besteht beziehungsweise selbst das Licht ist. So wird das auch im Koran beschrieben: „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde [...]. Licht über Licht. Allah führt zu seinem Licht, wen Er will [...]“ {24:35}. Seine Eigenschaften betreffend, bin ich davon überzeugt, dass er barmherzig und allvergebend ist. Außerdem ist Allah für mich und ganz viele Muslime das Größte überhaupt. Er ist es, der sich um einen sorgt. Mein Glaube an Allah und der Glaube daran, dass er immer da ist und mir zuhört, gibt mir unglaublich viel Kraft und Halt in meinem Leben. So ergibt alles einen Sinn, egal, ob ich es verstehe, oder nicht.
Muslime, ob sie nun religiös oder säkular eingestellt sind, leben ihren Glauben ganz unterschiedlich aus. Das eine Extrem glaubt nur mit dem Herzen an Allah, befolgt jedoch beispielsweise seine Vorschriften nicht; das andere Extrem ist hingegen sogar der Ansicht, dass Menschen mit anderem Glauben zum Islam gezwungen und – bei Verweigerung – getötet werden müssen. Zwischen diesen Maximen existieren noch zahlreiche Stufen. Persönlich versuche ich immer, Allah näher zu kommen – aber so, dass ich andere dadurch nicht in ihrem eigenen Glauben oder Nicht-Glauben einschränke. Denn das ist genau das, was meiner Auffassung nach Islam, also Friede bedeutet. Dieses friedliche Ideal auszuleben ist nicht immer leicht, viele Hürden müssen überwunden werden. Manchmal sind es Gesellschaft und Parteienpolitik, die sich gegen die freie und uneingeschränkte Auslebung der muslimischen Religion – oder auch der anderer Personen und Glaubensgemeinschaften – stellen. Manchmal ist es aber auch die muslimische Community oder die Familie selbst, die zu hohe Erwartungen bezüglich der Auslebung des Glaubens an eine junge Muslima wie mich stellt. Beides ist meiner Meinung nach falsch!
Oft erkenne ich aber auch, dass ich mir mit meiner eigenen Unentschlossenheit selbst im Weg stehe. Ich befinde mich täglich im inneren Dilemma darüber, ob ich nun etwas von meinem Glauben abgeben sollte, um als integriert zu gelten, oder ob ich nach dem leben sollte, was mir tatsächlich wichtiger ist: meine Religion. Selbst wenn ich dafür blöd angesehen, in eine Schublade gesteckt oder diskriminiert werde.
Und ich bin noch in einer zweiten Frage im Zwiespalt mit mir selbst: Sind meine Erwartungen an mich als Muslima vereinbar mit einem zwanglosen Leben in einer modernen Gesellschaft? Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich die Vorschriften des Korans nie verletze und keine Sünden begehe oder „Fehler“ mache. Sogar mein Vater, der Imam ist und einer der tollsten Menschen, die ich überhaupt kenne, macht welche. Meiner Auffassung nach verlangt Allah von uns auch nicht, fehlerfrei zu sein oder zu werden. Der Prophet Mohammed hat sogar gesagt: „[Selbst] wenn ihr nicht sündigen würdet, so würde Allah euch durch ein anderes Volk ersetzen, das sündigt und Allah um Vergebung bittet, und Allah würde ihm vergeben“ (Sahih Muslim, 2749). Dieser Hadith (Aussage des Propheten Mohammed) ist dabei nicht so zu verstehen, dass Allah unser Begehen von Fehlern braucht, um eine vollkommene Gottheit zu sein. Es ist eher ein Hinweis darauf, dass es absolut menschlich ist, Fehler zu begehen. Trotzdem versuche ich, diese zu vermeiden, um Allah zufriedenzustellen. Das schenkt mir inneren Frieden.
Fest steht: Ich liebe meine Religion und bin von ihr überzeugt. Nichtsdestotrotz bin ich konstant hin- und hergerissen. Oft fehlt mir das Selbstbewusstsein, meine Religion in Deutschland offen auszuleben. So traue ich mich beispielsweise vielerorts nicht, mit meinem Kopftuch und etwas längeren Klamotten aufzutreten (das trifft nicht unbedingt auf Neukölln, Kreuzberg oder Berlin generell zu).
Auch fürchte ich mich oft, vor „Deutschen“ zu sprechen. Nicht dass ich noch aus Versehen einen Artikel verwechsle und damit bestehende Vorurteile bestätige. Das erzeugt einen unglaublichen Druck, mich immer wieder beweisen zu müssen.
Ich muss also eine Vorzeige-Studentin und
-Bürgerin sein, um von der deutschen, nicht-muslimischen Community angenommen zu werden. Auf der anderen Seite muss ich aber auch eine Vorzeige-Muslima sein, um von der muslimischen Community akzeptiert zu werden. Ich bin irgendwo dazwischen verloren.
Wenn sich eine konkrete Situation auftut, in der ich mich für eine Seite entscheiden muss, handle ich so, wie ich es im jeweiligen Moment als richtig empfinde. Oft fällt mir dann auf, dass es ja noch die andere Seite gibt und ich kriege ein schlechtes Gewissen oder traue mich einfach nicht, meine Meinung klar und offen zu sagen oder mich entsprechend zu verhalten. In den Momenten, in denen ich nicht weiter weiß, wende ich mich an Allah und finde dabei meine Ruhe.
Dieser Zwiespalt ist nicht in allen Punkten gleich stark, denn die Werte des Islams und die der deutschen Kultur sind meiner Meinung nach keine Gegensätze. Muslimisch sein und Deutsch sein ist sehr wohl miteinander vereinbar. Häufig sind es eher die kulturellen als die religiösen Werte, die mit den deutschen Werten nicht vereinbar sind. So bin ich in der Auseinandersetzung mit meiner Religion der Frage nachgegangen, welche der Prinzipien, mit denen ich aufgewachsen bin, kulturell und welche religiös bedingt sind.
Deutlich wird das anhand der Rolle der Frau im Islam. In der muslimischen Religion ist die Frau dem Mann in vielerlei Hinsicht gleichgestellt. Trotzdem wird sie in vielen muslimisch geprägten Ländern unterdrückt und diskriminiert. Es ist wichtig zu erkennen, dass Kulturen, ihre Sitten und Herrschaftsstrukturen gesellschaftlichen Ursprungs und damit grundsätzlich menschengemacht und wandelbar sind. Man kann und muss sie also in Frage stellen. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Wertesystemen und Machtstrukturen führt zu vielfältigen Erfahrungen. Geschlechterrollen, Diskriminierungserfahrungen und Auseinandersetzungen mit staatlicher Gewalt sind einige davon. Diese Erfahrungen sind für die aktive Mitgestaltung in einer demokratischen Gesellschaft elementar wichtig. Sie ermöglichen überhaupt ein gleichberechtigtes Miteinander unabhängig von kulturellem Hintergrund, Geschlecht oder religiöser Zugehörigkeit. Meine Zugehörigkeit zum Islam sollte mich nicht daran hindern, an dieser Mitgestaltung teilhaben zu können. Egal ob diese Teilhabe nun in meinem bevorstehenden Studium der Medizin besteht oder in meiner Partizipation an den „Fridays for Future“-Demonstrationen. Es ist mir wichtig, dass ich nicht aufgrund meines Glaubens daran gehindert werde, damit Allah mich auch weiterhin durch mein Leben begleiten kann.
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Definition: Das Wort „Allah“ leitet sich ab vom Arabischen al-ilah (إله), was so viel bedeutet wie „das Göttliche“ oder „Gott“. Allah ist der muslimische Name für Gott, er wird aber auch von arabischen Christen verwendet. Um einer Erklärung für das, was Allah bedeutet, näher zu kommen, werde ich über meine persönliche Auseinandersetzung mit ihm berichten.
Mit meiner Einwanderung nach Deutschland und dem damit verbundenen Leben in einer aufgeklärten und offenen Gesellschaft, habe ich angefangen, mir Gedanken über meine Religion zu machen. Vor allem habe ich mich mit dem Wesen meines Gottes, Allah, beschäftigt. Phänotypisch kann ich mir Allah nur schwer vorstellen, am ehesten aber, dass er aus Licht besteht beziehungsweise selbst das Licht ist. So wird das auch im Koran beschrieben: „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde [...]. Licht über Licht. Allah führt zu seinem Licht, wen Er will [...]“ {24:35}. Seine Eigenschaften betreffend, bin ich davon überzeugt, dass er barmherzig und allvergebend ist. Außerdem ist Allah für mich und ganz viele Muslime das Größte überhaupt. Er ist es, der sich um einen sorgt. Mein Glaube an Allah und der Glaube daran, dass er immer da ist und mir zuhört, gibt mir unglaublich viel Kraft und Halt in meinem Leben. So ergibt alles einen Sinn, egal, ob ich es verstehe, oder nicht.
Muslime, ob sie nun religiös oder säkular eingestellt sind, leben ihren Glauben ganz unterschiedlich aus. Das eine Extrem glaubt nur mit dem Herzen an Allah, befolgt jedoch beispielsweise seine Vorschriften nicht; das andere Extrem ist hingegen sogar der Ansicht, dass Menschen mit anderem Glauben zum Islam gezwungen und – bei Verweigerung – getötet werden müssen. Zwischen diesen Maximen existieren noch zahlreiche Stufen. Persönlich versuche ich immer, Allah näher zu kommen – aber so, dass ich andere dadurch nicht in ihrem eigenen Glauben oder Nicht-Glauben einschränke. Denn das ist genau das, was meiner Auffassung nach Islam, also Friede bedeutet. Dieses friedliche Ideal auszuleben ist nicht immer leicht, viele Hürden müssen überwunden werden. Manchmal sind es Gesellschaft und Parteienpolitik, die sich gegen die freie und uneingeschränkte Auslebung der muslimischen Religion – oder auch der anderer Personen und Glaubensgemeinschaften – stellen. Manchmal ist es aber auch die muslimische Community oder die Familie selbst, die zu hohe Erwartungen bezüglich der Auslebung des Glaubens an eine junge Muslima wie mich stellt. Beides ist meiner Meinung nach falsch!
Oft erkenne ich aber auch, dass ich mir mit meiner eigenen Unentschlossenheit selbst im Weg stehe. Ich befinde mich täglich im inneren Dilemma darüber, ob ich nun etwas von meinem Glauben abgeben sollte, um als integriert zu gelten, oder ob ich nach dem leben sollte, was mir tatsächlich wichtiger ist: meine Religion. Selbst wenn ich dafür blöd angesehen, in eine Schublade gesteckt oder diskriminiert werde.
Und ich bin noch in einer zweiten Frage im Zwiespalt mit mir selbst: Sind meine Erwartungen an mich als Muslima vereinbar mit einem zwanglosen Leben in einer modernen Gesellschaft? Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich die Vorschriften des Korans nie verletze und keine Sünden begehe oder „Fehler“ mache. Sogar mein Vater, der Imam ist und einer der tollsten Menschen, die ich überhaupt kenne, macht welche. Meiner Auffassung nach verlangt Allah von uns auch nicht, fehlerfrei zu sein oder zu werden. Der Prophet Mohammed hat sogar gesagt: „[Selbst] wenn ihr nicht sündigen würdet, so würde Allah euch durch ein anderes Volk ersetzen, das sündigt und Allah um Vergebung bittet, und Allah würde ihm vergeben“ (Sahih Muslim, 2749). Dieser Hadith (Aussage des Propheten Mohammed) ist dabei nicht so zu verstehen, dass Allah unser Begehen von Fehlern braucht, um eine vollkommene Gottheit zu sein. Es ist eher ein Hinweis darauf, dass es absolut menschlich ist, Fehler zu begehen. Trotzdem versuche ich, diese zu vermeiden, um Allah zufriedenzustellen. Das schenkt mir inneren Frieden.
Fest steht: Ich liebe meine Religion und bin von ihr überzeugt. Nichtsdestotrotz bin ich konstant hin- und hergerissen. Oft fehlt mir das Selbstbewusstsein, meine Religion in Deutschland offen auszuleben. So traue ich mich beispielsweise vielerorts nicht, mit meinem Kopftuch und etwas längeren Klamotten aufzutreten (das trifft nicht unbedingt auf Neukölln, Kreuzberg oder Berlin generell zu).
Auch fürchte ich mich oft, vor „Deutschen“ zu sprechen. Nicht dass ich noch aus Versehen einen Artikel verwechsle und damit bestehende Vorurteile bestätige. Das erzeugt einen unglaublichen Druck, mich immer wieder beweisen zu müssen.
Ich muss also eine Vorzeige-Studentin und
-Bürgerin sein, um von der deutschen, nicht-muslimischen Community angenommen zu werden. Auf der anderen Seite muss ich aber auch eine Vorzeige-Muslima sein, um von der muslimischen Community akzeptiert zu werden. Ich bin irgendwo dazwischen verloren.
Wenn sich eine konkrete Situation auftut, in der ich mich für eine Seite entscheiden muss, handle ich so, wie ich es im jeweiligen Moment als richtig empfinde. Oft fällt mir dann auf, dass es ja noch die andere Seite gibt und ich kriege ein schlechtes Gewissen oder traue mich einfach nicht, meine Meinung klar und offen zu sagen oder mich entsprechend zu verhalten. In den Momenten, in denen ich nicht weiter weiß, wende ich mich an Allah und finde dabei meine Ruhe.
Dieser Zwiespalt ist nicht in allen Punkten gleich stark, denn die Werte des Islams und die der deutschen Kultur sind meiner Meinung nach keine Gegensätze. Muslimisch sein und Deutsch sein ist sehr wohl miteinander vereinbar. Häufig sind es eher die kulturellen als die religiösen Werte, die mit den deutschen Werten nicht vereinbar sind. So bin ich in der Auseinandersetzung mit meiner Religion der Frage nachgegangen, welche der Prinzipien, mit denen ich aufgewachsen bin, kulturell und welche religiös bedingt sind.
Deutlich wird das anhand der Rolle der Frau im Islam. In der muslimischen Religion ist die Frau dem Mann in vielerlei Hinsicht gleichgestellt. Trotzdem wird sie in vielen muslimisch geprägten Ländern unterdrückt und diskriminiert. Es ist wichtig zu erkennen, dass Kulturen, ihre Sitten und Herrschaftsstrukturen gesellschaftlichen Ursprungs und damit grundsätzlich menschengemacht und wandelbar sind. Man kann und muss sie also in Frage stellen. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Wertesystemen und Machtstrukturen führt zu vielfältigen Erfahrungen. Geschlechterrollen, Diskriminierungserfahrungen und Auseinandersetzungen mit staatlicher Gewalt sind einige davon. Diese Erfahrungen sind für die aktive Mitgestaltung in einer demokratischen Gesellschaft elementar wichtig. Sie ermöglichen überhaupt ein gleichberechtigtes Miteinander unabhängig von kulturellem Hintergrund, Geschlecht oder religiöser Zugehörigkeit. Meine Zugehörigkeit zum Islam sollte mich nicht daran hindern, an dieser Mitgestaltung teilhaben zu können. Egal ob diese Teilhabe nun in meinem bevorstehenden Studium der Medizin besteht oder in meiner Partizipation an den „Fridays for Future“-Demonstrationen. Es ist mir wichtig, dass ich nicht aufgrund meines Glaubens daran gehindert werde, damit Allah mich auch weiterhin durch mein Leben begleiten kann.
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